Casuistik 3

Vorgeschichte

Ein 29 Jahre alter Mann stellt sich beim Kardiologen wegen Herzklopfen vor.

Er bemerkt diese Symptomatik seit 2 Jahren, jedoch traten solche Episoden bislang eher selten, etwa alle 4 - 8 Wochen auf und dauerte allenfalls 5 min an, bevor sie spontan wieder verschwanden. Seit 2 Tagen würden die Attacken jedoch häufiger mehrmals täglich auftreten. Sie dauerten unverändert allenfalls 5 min, er ist allerdings durch die Häufigkeitszunahme beunruhigt und hat Sorge, daß etwas Schlimmes aufgetreten sein könnte.

Seine Vorgeschichte ist leer. Er hat lediglich eine Trichterbrust, deretwegen er von seiner Mutter als Heranwachsender zum Kinderarzt und nachfolgend zu einem Chirurgen geschickt worden war. Einen Operationsbedarf sah keiner der beiden Ärzte.

Bis auf das Herzklopfen hat und hatte er bislang keinerlei Beschwerden wie Luftnot, Brust- oder Rückenschmerzen.

Ernsthafte Erkrankungen hatte er bislang ebenfalls noch nicht, daher hat er auch kleinen Hausarzt. Er arbeitet als Gerüstbauer und kann diesen Beruf ohne Einschränkungen ausüben. Medikamente müsse er nicht einnehmen, die Einnahme von Drogen wird verneint. Auch in der Familienvorgeschichte werden keine erwähnenswerten Besonderheiten (z.B. Herzerkrankungen, plötzlicher Herztod) angegeben.

Bei der körperlichen Untersuchung fanden sich bis auf eine ausgeprägte Trichterbrust keine Auffälligkeiten. Das Herz schlug normfrequent (82/min), jedoch unregelmäßig, die Herztöne waren unauffällig, Herzgeräusche waren nicht zu hören, der Blutdruck war 127/85 mm Hg am rechten und 124/85 mm Hg am linken Arm. Auch die Auskultation der Lungen ergab keinen auffälligen Befund.

Das EKG zeigt den Befund in Abb. 1.

Die Echokardiographie war wegen der Trichterbrust von verminderter Qualität, zeigte allerdings soweit zu beurteilen keine Auffälligkeiten.

Was könnte der Patient haben?

Antwort

Das EKG zeigt Veränderungen in Gestalt einer Epsilon-Welle in Abl. V1 (Abb. 2), die an das Vorliegen einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie denken läßt.

Eine solche Epsilon-Welle kann aber auch bei Trichterbrust zu beobachten sein. Zusätzlich kann man bei einer ausgeprägten Trichterbrust

Der nächste diagnostische Schritt bestand in einem Belastungs-EKG. Hier kam es bei 150 W zum Auftreten einer Breitkomplextachykardie (Abb. 3) mit einer Frequenz von 195/min und einer QRS-Breite von ca. 160 msec. Der QRS-Komplex war rR´-konfiguriert. Die Ergometrie wurde abgebrochen, wonach die Tachykardie innerhalb weniger Sekunden wieder verschwand und wieder Sinusrhythmus auftrat.

Um die Art der Tachykardie differentialdiagnostisch zu klären kann man die BRUGADA-Kriterien anwenden:

  • Fehlt ein RS-Komplex in V1–V6 handelt es sich um eine VT.
  • Dauert es vom Beginn eines R bis zu Spitze des S in einer präkordialen Ableitung länger als 100 ms ist es eine VT.
  • Mehr QRS-Komplexe als P-Wellen (AV-Dissoziation) sind für eine VT diagnostisch.
  • Typische Schenkelblockbilder sprechen gegen eine VT.
  • QRS-Komplex breiter als 160 ms und atypische QRS-Lagetypen für eine VT.
  • Bei unserem Patienten ist eine VT wahrscheinlich, da ein RS-Komplex in Abl. V1 - V6 fehlte vorlag, der QRS-Komplex ca. 160 msec breit war und das Bild eines Liunksschenkelblocks (LSB) vorlag.

    Das noch junge Alter des Patienten und die Epsilon-Welle im Ruhe-EKG haben den Kollegen daran denken lassen, daß differentialdiagnostisch entweder ein BRUGADA-Syndrom oder eine arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVCM) vorliegen könnte. Weil es sich bei den Tachykardien beim BRUGADA-Syndrom jedoch meistens um polymorphe ventrikuläre Tachykardien (Torsade de points) handelt war die 1. Verdachtsdiagnose diejenige einer ARVSM, weshalb ein Kardio-MRT veranlaßt wurde.

    Dieses zeigte eine apikale rechtsventrikuläre Kontraktionsstörung, die aber bei ausgeprägter Trichterbrust durchaus auch auf die mechanische Verdrängung des Herzens hervorgerufen werden konnte.

    Weil somit eine ARVCM nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden konnte, das Ruhe-EKG aber keine BRUGADA-verdächtigen Befunde zeigte erfolgte als nächstes ein Ajmalin-Test. Hierbei (Abb. 4) kam es zur Demaskierung der für ein BRUGADA-Syndrom typischen Veränderungen in Gestalt einer leicht nach oben konvex verlaufenden ST-Strecke mit negativer T-Welle in Abl. V1 und V2.

    Somit war die Diagnose klar: BRUGADA-Syndrom.

    Der Patient war symptomatisch, wenn auch nicht mit anamnestischen Synkopen, sodaß geklärt werden mußte, ob bei diesem Patienten die Indikation zur Implantation eines ICD bestand. Hierzu benutzt man eine Risikostratifizierung, die für Patienten mit dokumentierter VT mit oder ohne VT die Implantation eines ICD vorsieht.

    Der Patient war hiermit einverstanden und das Gerät wurde problemlos implantiert.

    Im 1. Jahr nach der Implantation löste das Gerät 1mal einen Elektroschock aus, über den weiteren Verlauf ist nichts bekannt, weil der Patient in ein anderes Bundesland umzog.

    Seine Tätigkeit als Gerüstbauer mußte aufgeben.


    (Lesen Sie auch die ausführlichen Informationen über das Brugada-Syndrom.)